Im Käfig des formal Rationalen: Die Gesellschaft als Anspruchs-Enttäuschungs-Spirale

"Max Weber sah eine Gesellschaft voraus, in der die Menschen in eine Reihe rationaler Strukturen eingeschlossen sind und nur noch die Wahl haben, sich von einem rationalen System zum anderen zu bewegen. Letztlich gibt es dann keinen Ausweg mehr aus dem Rationalen."

 

(Ritzer, George, 1993: Die McDonaldisierung der Gesellschaft)

George Ritzer ist Soziologieprofessor an der University of Maryland. 1993 erschien sein Buch „Die McDonaldisierung der Gesellschaft“.

Wesentlichen Einfluss darauf hatten die Forschungen Max Webers zu Rationalisierungsprozessen, deren Ausgangspunkt das Agieren von bürokratisierten Organisationen ist. Beispielhaft für diese Entwicklung ist das Geschäftsmodell der Brüder McDonald von 1937, das sich bis heute durch eine hohe Standardisierung im Restaurantbetrieb auszeichnet.

Deshalb der Titel des Buches.

Vereinbarkeit von Effizienz und Individualität

Jeder kann und darf für sich selbst Verfahrensvorschriften formulieren, um Aufgaben zu erfüllen und die gesamte Lebensführung so optimal wie möglich zu gestalten. Der Entwicklungsprozess bis zum Ziel nimmt jedoch viel Zeit in Anspruch und ist in der Regel fehlerbehaftet. Darüber hinaus sind individuelle Entscheidungen kaum durch bürokratische Organisationen kalkulierbar. Deren oberste Ziele sind aber Effizienz, Berechenbarkeit und Vorhersagbarkeit. Sie haben deshalb ein Interesse daran, diese konzeptionelle Tätigkeit für uns zu übernehmen. Die eigenständige Suche nach individuell erfolgreichen Strategien ist unerwünscht. Das wäre an sich kein Problem, hätte es nicht Auswirkungen auf die Gesellschaft und deren Mitglieder.

Die mcdonaldisierung des privaten

Ritzer sah in den 1980er und 1990er Jahren Indizien dafür, dass die bürokratisch organisierte Optimierung mittlerweile Lebensbereiche erfasst hat, in denen man zuvor eher gefühlsgeleitet handelte. Bereits Max Weber hatte die Unterordnung unter diesen kulturellen Imperativ erkannt und nannte ihn das „Gehäuse der Hörigkeit“.

Das heißt, neu ist das Phänomen der Übertragung des ökonomischen Minimalprinzips auf die Privatsphäre nicht und Berechenbarkeit scheint nicht nur auf institutionalisierter Ebene von Bedeutung zu sein, sondern auch für den Einzelnen:

Die Qualität einer „konsumierten“ Leistung soll eine gewisse Stetigkeit aufweisen, wobei vorausgesetzt und durch Organisationen garantiert wird, dass ein gesetztes Ziel mit dem geringsten Mitteleinsatz erreichbar ist. Diese Garantie liefern Hierarchie, Kontrolle und Standardisierung, innerhalb und außerhalb von Organisationen.

Individualisierte Wunschvorstellungen widersprechen dieser Form der „Lebensorganisation“. Zumindest gerät man in den Zwang, diese an den Maßstäben der Rationalität und der Effizienz sich selbst und anderen gegenüber rechtfertigen zu müssen. Damit es nicht im Übermaß zu solchen Situationen kommt, suggerieren bürokratische Organisationen, sie seien in der Lage, diese Bedürfnisse höchst individuell und ökonomisch sinnvoll zu jedem Zeitpunkt zu befriedigen.

Ritzer bezeichnete in seinem Buch effizienzversprechende Technologien als inhuman. Sie reduzierten die Lebensqualität, weil sie in der Lage seien, dem Menschen alles abzunehmen, außer der Konsumtion selbst. Noch Anfang der 1990er Jahre wurden Nachrichten gefiltert, standardisiert erzeugt und organisiert verbreitet. Mit den Bedingungen individualisierter Gesellschaften scheint das heute nicht mehr kompatibel zu sein. Daraus ließe sich jetzt schließen, dass uns der Ausbruch aus dem eisernen Käfig, aus dem Gehäuse der Hörigkeit, gelungen sei. Das eigene Sicherheitsbedürfnis erlaubt aber noch immer keine Experimente im Alleingang. Nach wie vor scheint es rational richtig, Entscheidungen an vermeintlich kompetentere Institutionen zu delegieren. Sogar das Bedürfnis nach Entspannung unterliegt einer Erfolgs- und Effizienzerwartung. Wir bedienen uns noch immer verschiedener Symbole für eine greifbare, rituelle Struktur – so wie man das vor dreißig Jahren und auch zur Zeit von Max Weber getan hat. Digitalisierte Medien und soziale Netzwerke zeigen uns mit Hilfe der Informationstechnologie in virtuellen Räumen, was gut und was schlecht ist, was wir tun oder lassen sollen, um unser Leben zu optimieren. Es scheint effizienter, eine organisiert gebildete Meinung in kurzer Zeit zu übernehmen. Der Vergleich unterschiedlicher Thesen und Aussagen einer Vielzahl von Personen führt zu einem nicht vorhersehbaren Ergebnis. Das Risiko ist unkalkulierbar.

Das Individuum ist ein Unsicherheitsfaktor, daran hat sich nichts geändert. Deshalb befinden wir uns noch immer im „Gehäuse der Hörigkeit“, von dem schon Max Weber sprach.

Gewünschte Anspruchs-enttäuschungs-spiralen

Die Akteure in einer Gesellschaft waren und sind aktive Träger einer Maschinerie, deren zerstörerische Mechanik aus einem Wechsel von vielversprechenden Angeboten und Enttäuschungen besteht. Jeder, der mit seiner Arbeit zur Stabilisierung einer Organisation beiträgt, wird deshalb erfahren, dass die Erfolgskriterien dieser Maschinerie ihn noch genauer kontrollieren, je mehr Energie er in sie investiert.

Es gibt Parallelen zu früheren Zeiten und eine hält sich konstant: Wir bleiben letztlich unbefriedigt und enttäuscht zurück. Dann schrauben wir unsere Ansprüche noch höher, in der Erwartung, dass sie nächstes Mal erfüllt werden. Oder wir weichen auf andere Produkte aus. Organisierte Bürokratien bieten uns eine Reihe von Möglichkeiten, die einander wechselseitig als Ersatzbefriedigung dienen können.

In dieser „Anspruchs-Enttäuschungs-Sprirale“, wie Ritzer sie nennt, liegt das Erfolgsgeheimnis von manipulativen Organisationen - sowohl in der Zeit um 1900, als auch in den McDonaldisierten Gesellschaften der 1990er Jahre, sowie in der Informationsgesellschaft des 21. Jahrhunderts.

Der Kernmechanismus ist immer der gleiche: Wir erwarten von Organisationen, was wir traditionell, d. h. vorindustriell, selbst erledigt hatten und eigentlich auch heute noch könnten. Wir unterlassen es aber, weil Effizienz die oberste Priorität hat und weil Organisationen bestimmte Erwartungen und Wünsche zuvor überhaupt erst in uns geweckt haben. Sind wir der Effizienz-Fiktion erst erlegen, dann entdecken wir viele weitere dieser Organisationen mit solchen fiktionalen Angeboten, die dann vom Einzelnen nicht mehr auf ihre tatsächliche Effizienz überprüft werden können, weil sie unüberschaubar sind. Um diesem Mechanismus zu entkommen, müssten wir unserer eigenen Urteilsfähigkeit wieder vertrauen. Wenn wir eigene Wege gehen, ehrliche Entscheidungen treffen, unpopuläre Meinungen vertreten, wissen wir aber nicht, ob sich die Mühe und das Risiko lohnen. Ein erfolgreiches Resultat in Form eines persönlichen Vorteils wäre ungewiss und unser Agieren ineffizient. Bürokratische Organisationen befriedigen den Erlebnishunger hingegen auf effiziente Weise.

Hinzu kommt, dass wir von Organisationen widersprüchliche Botschaften empfangen:

Vorhersehbarkeit, Effizienz, Berechenbarkeit und Risikolosigkeit einerseits. Übersteigerungen, Erleben, Spaß und Risiko andererseits. McDonaldisierte Gesellschaften sind in gewisser Weise eine Kopie von älteren, segmentären Gesellschaften im Sinne von Durkheim (Die elementaren Formen des religiösen Lebens, 1981), in denen die Mitglieder Sicherheit und Beständigkeit in Ritualen fanden, während sie meinten, eine Grenze hin zu mehr Erlebnisreichtum überschritten zu haben. Diesen Dualismus erkannten sie selbst aber nicht. Es schien ihnen daher sinnvoll, das ritualisierte Verhalten weiter fortzusetzen.

In Verbindung mit Ritzers Erwartungs-Enttäuschungs-Spirale ist auch der Ansatz von Horkheimer und Adorno (Dialektik der Aufklärung, 1969) denkbar, dem zufolge die Akteure gern die Produkte der Organisationen nachfragen, den Mechanismus auch erkennen, aber auf die illusionäre Grenzüberschreitung hin zur Erlebnismaximierung nicht verzichten wollen. Wenn man aus der Spirale nicht herausfindet, dann möchte man als Mitglied einer McDonaldisierten Gesellschaft zumindest effizient und erlebnisreich bedient und belohnt werden.

Die von Ritzer vorausgesagte Einebnung kulturell unterschiedlicher Lebensweisen und die befürchtete Entindividualisierung sind nicht in Gänze eingetreten. Es werden auch nicht ausschließlich „McDonaldisierte“ Produkte nachgefragt. Die Gesellschaft ist heterogen geblieben und zahlt aus volkswirtschaftlicher Sicht für die Folgen der McDonaldisierung. Wie hoch die Kosten sind, kann gegenwärtig nicht beziffert werden.

Es kann auch abschließend keine Aussage darüber getroffen werden, welche Bevölkerungsteile sich der Steigerungslogik von McDonaldisierung und Informationstechnologie entziehen konnten, bzw. können.

Dass sich Max Webers These vom „Gehäuse der Hörigkeit“ auf heutige Verhältnisse übertragen lässt, liegt zum Teil daran, dass Menschen, die unter McDonaldisierten Lebensbedingungen sozialisiert worden sind, auch ihre Kinder mit dieser Welt vertraut machen, sofern diese Aufgabe nicht bereits Organisationen übernommen haben.

 

© Katja Tropoja

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