Glück gleicht durch Länge aus, was ihm an Höhe fehlt

... in Anlehnung an das Gedicht "Oh Stormy, Stormy World" von Robert Frost. Es beginnt mit den Worten: Happiness makes up in height for what it lacks in length.

Der Bereich des Wollens ist grenzenlos

Hätten wir genau verstanden, was wir wirklich wollen, dann wüssten wir auch, was wir sollen und was das richtige Leben ist. Das war schon vor 2.500 Jahren philosophischer Konsens und stand als Definition von Glück, dem letzten Ziel allen Strebens, im Mittelpunkt der antiken Ethik. Die Griechen sahen im Glück das höchste Gut, das jeder finden könne, der richtig lebt.

 

Ausgangspunkt war dabei die Frage:

 

Was wollen wir?

 

Sie fragten nicht: Was sollen wir?

 

Ehe wir etwas sollen, müssen wir zunächst etwas wollen. Nur so wird eine Handlung ausgelöst. Wenn wir etwas sollen, dann heißt das nur: Wir sollen es wollen. Wir erwarten, dass uns das eigene Handeln Vorteile verschafft, sonst würden wir es nicht wollen können und wären damit handlungsunfähig.

 

Im Zustand der Willenlosigkeit, der Apathie, geht auch jedes Sollen ins Leere. Wer gar nichts will, an den kann man auch keine Forderung richten. Indem wir aber etwas in den Bereich unseres Wollens aufnehmen, erweitern wir die Grenzen unseres Handlungsspielraumes. Aus Passivität wird Aktivität. Nur dann besteht die Möglichkeit, in einem bewussten Akt des Willens auf positive Weise Sinnhaftigkeit zu erfahren. Das umfasst auch, was uns stört, was wir aber gegenwärtig nicht ändern können. Es geschieht ohnehin, ob wir es akzeptieren oder nicht. Wir sind in der Lage, ALLES in den Bereich unseres Wollens aufzunehmen, wenn wir das WOLLEN. Dadurch verleihen wir dem Sinn Unendlichkeit und Grenzenlosigkeit.

Wir können zu jedem Zeitpunkt die Form unserer Glückserfahrung selbst wählen

Wer will, kann sich dem Glück von außen nähern. Das ist vor allem etwas für Realisten, denn es liegt nahe, die Außenseite des Glücks als real wahrzunehmen. Dazu gehören unser räumliches und soziales Umfeld, die Beziehungen, die wir zu anderen Menschen pflegen und auch das, was wir durch sinnliche Wahrnehmung in uns aufnehmen.

 

Zusätzlich sind wir in der glücklichen Lage, auf unser Verständnis von Zeitlichkeit zurückgreifen zu können. Das ermöglicht uns, gedanklich und emotional zwischen den Zeiten hin und her zu wandern. So steht jeder einzelne Moment nicht isoliert für sich, sondern wird durch Erwartung, Erinnerung und Beurteilung stets neu ins Ganze des Lebens integriert. Auf diese Weise wird der Stellenwert jeder Erfahrung immer wieder neu bestimmt. Damit uns ein Ereignis oder auch ein ganzer Lebensabschnitt die Erfahrung von Glück vermittelt und wir uns daran im Nachhinein als ein glückliches Ereignis erinnern können, muss es sich in das Ganze unseres Lebens einfügen lassen. Zudem hängt der Grad des Glücksgefühls ab von unserem Erwartungshorizont.

 

Wer will, kann sich dem Glück von innen nähern. Unsere Fähigkeit zur Innenschau eröffnet uns diesen Weg. Der Mensch kann sich in seiner Einstellung zur Welt auf die Perspektive beschränken, die sich von seiner Innenwelt aus ergibt. Er kann auf den Innenaspekt seines Erlebens bestehen. Zu jeder Zeit, wann und solange er das möchte.

 

Es ist schwer, das Glück in uns zu finden, und es ist ganz unmöglich, es anderswo zu finden, sagte Nicolas de Chamfort. Glücklicherweise wurde uns die Illusion geschenkt, um das zu kompensieren. Auch sie ist stets verfügbar. Seit Beginn der Menschheitsgeschichte greifen wir zu diesem Zweck auf psychoaktive Substanzen zurück. Auch der Aufklärer Maupertuis (1698 – 1759) empfahl zur Erzeugung illusionären Glücks ausdrücklich den Gebrauch von Drogen (P. L. M. de Mauperuis: Essai de philosophie morale, Berlin 1749). Die Nachteile sind bekannt, dennoch gab es zu allen Zeiten ein Bedürfnis danach.

 

Wir können uns also entscheiden, ob wir Glück „real“ über das Außen erfahren wollen, durch Zeitreise, über unsere Innenwelt oder in Form der Illusion. Darüber hinaus können wir zwischen den verschiedenen Perspektiven hin und her wechseln, weil unser Geist flexibel ist. Aus objektiver Sicht ist dabei für die Qualität unseres Glücksempfindens keine Seite besser als die andere geeignet.

Wir brauchen ein positives Verhältnis zu dem, was sich außerhalb unseres Einflusses befindet

Nur wenn wir das, was von uns abhängt, unterscheiden können von dem, worauf wir keinen Einfluss haben, können wir ein sinnvolles Leben führen. Diese Überlegung mündete im höchsten Ideal der stoischen Weisen, der Apathia, der Leidens- und Leidenschaftslosigkeit. Der höchste Akt der Vernunft ist hier die Zustimmung zu dem, was ist und die Einsicht in diese Notwendigkeit. Glücklich ist demnach, wem alles gleichgültig ist, was nicht von ihm abhängt. So radikalisierte die Stoa den Gedanken der Autarkie. Es ging ihr nicht um Erfüllung der Wünsche, sondern um Zufriedenheit, auch ohne Erfüllung.

 

Tatsächlich aber verhindert der Zustand innerer Zufriedenheit den Fortgang der menschlichen Zivilisation. Sie lebt von der Unzufriedenheit mit dem, was ist. Ihre weitere Entwicklung ist darauf angewiesen, das ständig neue Interessen und Bedürfnisse entstehen. Unzufriedenheit führt einerseits zu gesteigertem Konsumbedürfnis, um kurzfristig einen Zustand der Euphorie zu erzeugen. Andererseits ist sie Quelle von Erfindungsreichtum und Innovation. Dass wir heute zum Beispiel Elektrizität nutzen, resultierte aus der Unzufriedenheit mit den vorherigen Lebensbedingungen. Das förderte die Industrialisierung und änderte unseren Lebensrhythmus.

 

Vor allem im Zuge der Aufklärung ging man davon aus, dass die Natur beherrschbar sei und man den Bereich des Unverfügbaren auf ein Minimum schrumpfen lassen könne. So unterstellten Auguste Comte und Karl Marx grundsätzliche Machbarkeit. Diesem Positivismus zufolge gibt derjenige dem Leben einen Sinn, der zielgerichtet handelt und das Unverfügbare verfügbar macht.

Das Leben hat Sinn und Zusammenhang, auch wenn man keine Ziele verfolgt

Für die philosophische Ethik stellt sich das Leben als eine in sich geschlossene Sinnestotalität dar. Das Gewissen als höchste Form der Aufmerksamkeit verleiht ihr Ausdruck. Nur wo sich das, was ist, dem Menschen zeigt, weckt es diese Aufmerksamkeit und impliziert Anwesenheit. So entsteht Gegenwart, ohne die es Vergangenheit und Zukunft nicht gäbe und umgekehrt. Durch Erinnerung an vergangene oder Antizipation zukünftiger Augenblicke und durch Reflexion entsteht die Gegenwart des Lebens in Form eines geschlossenen und in sich sinnvollen Kreislaufs. Die gegenwärtige Perspektive ermöglicht den Blick auf zukünftige Ziele.

 

Obwohl einzelne Reize uns auch treffen, wenn wir unaufmerksam sind, fügen sie sich letztlich nur zu einem Sinnganzen, wenn wir ihnen Aufmerksamkeit schenken. Sind wir nicht freiwillig dazu fähig oder bereit, wird Aufmerksamkeit durch die negative Bedeutsamkeit des Schmerzes erzwungen. Seine Aufgabe ist es, das (Er-)Leben zu aktivieren.

 

Sinn bedarf daher stets der Rekonstruktion im Akt der Aufmerksamkeit, nicht im Akt der Zielsetzung.

Glück erfährt, wer die Wirklichkeit als Sinnzusammenhang wahrnimmt

Die Eltern sind i. d. R. die erste eigenständige Wirklichkeit, der ein Kind begegnet. Sie sorgen dafür, dass die Realität zunächst als angenehm und freundlich erfahren wird. Zumindest SOLLTEN sie das WOLLEN. Die Vermittlung dieser Grunderfahrung, die wir Urvertrauen nennen, ist die wichtigste und wertvollste Erziehungsleistung, die es gibt. Nur wer auf die Erinnerung einer heilen Welt zurückgreifen kann, wird Unheil und Leiden verarbeiten können, die uns im Lauf des Lebens unweigerlich begegnen werden. Nur an einer Wirklichkeit, die uns Widerstand leistet, können wir Selbstvertrauen entwickeln. Jede tiefere Freude hängt letztlich von dieser Erfahrung der inneren Stärke und von dem Erleben der eigenen Fähigkeiten ab.

 

So differenziert sich für den Menschen die Realität auf SINNvolle Weise und wird zu einer strukturierten Welt. Erst die Vielfalt an Werterfahrungen und Interessen ergeben ein in sich rundes und schlüssiges Gebilde, das wir Leben nennen.

 

Der Wirklichkeit ist es dabei gleichgültig, ob wir sie zur Kenntnis nehmen oder nicht. Wir können aber besser handeln, wenn wir diesem Umstand Rechnung tragen.

Wir können wählen, wie wir der Wirklichkeit begegnen wollen

Realismus und Illusion

Die volle Erkenntnis der Sachlage kann das Handeln lähmen. Das hat vermutlich jeder schon einmal erlebt. Glücklicherweise sind wir so konstruiert, dass wir die Komplexität der Außenwelt reduzieren können, um beweglich zu bleiben. Das gelingt uns mal besser und mal schlechter. Grundsätzlich sind wir aber dazu fähig, Reize und Informationen zu filtern und uns damit unsere jeweils eigene Wirklichkeit zu basteln, die uns lebensfähig erhält. Wir nehmen die „Realität“ zur Kenntnis und sortieren anhand eines individuellen Auswahlverfahrens aus, was wir nicht verarbeiten können. Weil wir uns der eigenen Endlichkeit bewusst sind, erkennen wir diese Notwendigkeit und sind dazu in der Lage. Das ist Realismus.

 

Illusionär ist dagegen die Leugnung der Existenz dessen, was man selbst nicht zu verarbeiten imstande ist. Das ist legitim. Es besteht aber die Gefahr, sich somit zum universellen und allgemeingültigen Maßstab der Wirklichkeit zu machen. Unsere Perspektive ist aber zeitlich terminiert, lokal und kausal begrenzt und niemals auf eine andere Person übertragbar.

Verzweiflung und Hoffnung

Verzweifeln heißt, es für unmöglich halten, etwas Sinnvolles zu tun. Wenn man nicht mehr eindeutig sagen kann: Es ist besser das dieses geschieht, als dass dessen Gegenteil geschieht, dann ist man verzweifelt. Dabei geht jede Objektivität verloren. Darüber, ob die Wirklichkeit in ihrer Gesamtheit Sinn macht oder nicht, kann aber auf der Grundlage empirischer Fakten in der Gegenwart keine Entscheidung getroffen werden. Die Frage ist erst am Ende des Lebens beantwortbar. Im Glückserleben wird aber die Wirklichkeit als sinnvolles Ganzes erfahren. Dieses Erlebnis von Sinngestalten innerhalb eines übergreifenden Zusammenhangs ist das, was Plato die "reinen Freuden" nannte. Wer verzweifelt ist, erkennt das nicht (mehr) und ist im gegenwärtigen Augenblick erstarrt und gefangen.

 

Hoffen heißt dagegen, an die letztliche Übereinstimmung des Laufes der Dinge mit ihrer Sinnhaftigkeit, sowie an ein letztliches Konvergieren von Glückseligkeit und Glückswürdigkeit zu glauben.

Zynismus und Fanatismus

Zynismus ist der Versuch, die Wirklichkeit sinnfrei und menschliches Handeln als Teil einer sinnfreien Wirklichkeit zu betrachten. Handeln wird zum bloßen Geschehen, das der Zyniker selbst in Leiden verwandelt. Er erkennt dabei formal keine moralischen Regeln an.

 

In der Empörung hält der Mensch der Welt, wie sie ist, den Entwurf einer Welt entgegen, die er als sinnvoll begreifen könnte. Fanatismus ist die ins Handeln übersetzte Haltung der Empörung. Fanatiker ist, wer daran festhält, dass es Sinn nur in gesetzter Form gibt. Er glaubt, der zunächst sinnlosen Welt könne man ausschließlich durch Handlung Sinn verleihen.

 

Aus dieser Perspektive ist der Sinn etwas Zukünftiges. In der Gegenwart sucht der Fanatiker strategisch nach Mitteln, um diese bessere Zukunft herbeizuführen. Fanatismus kann auch mit Utilitarismus einhergehen. Dann ist die Handlungsmotivation das größtmögliche subjektive Wohlbefinden möglichst vieler Menschen. Deshalb sind Fanatiker nicht zwangsläufig auch Egoisten.

 

Kann ein Zustand dauerhafter Zufriedenheit entstehen, wenn der Mensch eingebunden ist in einen Handlungszusammenhang, dessen Wirksamkeit gerade durch die Einsicht bestimmt ist, dass die Glücksbedingungen noch gar nicht gegeben, sondern erst noch herzustellen sind?

 

Vom moralischen Standpunkt aus ist der Sinn schon immer da, nämlich in Form der Existenz jedes einzelnen Lebewesens.

Gelassenheit

Die "vernünftige" Haltung des Menschen gegenüber seinem Schicksal nennt man Gelassenheit. Der Begriff stammt aus der Sprache der deutschen Mystik des Mittelalters und bedeutet die Bereitschaft zur Zustimmung der Grenze dessen, was wir sind und was wir bewirken können. Sie gibt der Wirksamkeit zielbewussten Handelns einen sicheren und festen Stil, Umsicht und Augenmaß.

 

Nur wer die äußerste Anstrengung, das ihm Mögliche auch wirklich zu tun, auf sich genommen hat, kann eine echte Erfahrung dieser Grenze machen. Die Resignation vor dem Unvermeidlichen ist nur dann wirklich menschlich, wenn das Unvermeidliche sich tatsächlich als solches erwiesen hat. Erweisen kann es sich aber nur für den, der an die Grenze des Machbaren gestoßen ist.

 

Durch Zustimmung verwandelt der Gelassene Leiden in Handeln. Er akzeptiert, was ist: Den Lauf der Dinge, seine Fähigkeit, gut zu handeln und das Gegebene zum Besseren zu verändern oder vor Verschlechterung zu bewahren. Auch wenn er das Handlungsziel nicht erreicht, bricht der Sinn dieses Handelns nicht zusammen, denn der Gelassene weiß, dass der Sinn nicht erst durch ihn und sein Handeln in die Welt kommt. Der Sinnzusammenhang steht für ihn wie ein Fels in der Brandung.

Solange wir leben, sind wir nicht tot

Der Tod als äußerste Form der totalen Passivität gewinnt Realität nur für die Aufmerksamkeit des bewussten Wesens, d. h. im Wissen des Menschen, dass er sterben wird. Seiner unabänderlichen Wirklichkeit müssen wir zustimmen. Ob wir wollen, oder nicht. Dieses Wissen erzwingt die höchste Form der Aufmerksamkeit, aus der heraus erst Bedeutsamkeit entstehen kann.

 

Die Unbedingtheit kommt erst ins Leben durch dessen zeitliche Begrenztheit. Jeder Augenblick steht unter dem Gesetz des "Jetzt oder nie". Würden wir nicht sterben, wären alle Augenblicke gleichgültig. Alles, was wir jetzt tun können, wäre auch noch in der Zukunft machbar. Es gäbe keine Relevanz der Gegenwart.

 

Das ist paradox: Nur durch den Tod kommen Sinn und Bedeutung in unser Leben, obwohl wir mittels unseres Bewusstseins den Tod nicht mit Sinn erfüllen können.

Jede menschliche Handlung ist bereits Akzeptanz des Schicksals

Unter den gegebenen Bedingungen handeln wir so, wie wir es für richtig und sinnvoll halten. Wir tun das aus unserer individuellen und schicksalhaften Situation und Sicht heraus Optimale. Auch die unterlassene Handlung, auch der Versuch, die inneren und äußeren Rahmenbedingungen zu ändern, gehören dazu. Nicht alles ist zu jedem Zeitpunkt möglich. Das zu akzeptieren sahen schon Seneca und Epiktet als endgültige Befreiung des Menschen.

 

Unsere Persönlichkeit ist dabei keine feststehende Größe, sondern sie verändert sich immer wieder aufgrund eigener und fremder Handlungen. Nicht nur wir selbst, sondern auch unser Umfeld formen uns, auch mit Unterlassungen. Wir können den Dingen im Lauf des Lebens mehr oder weniger Bedeutung beimessen, uns auf Einiges stärker konzentrieren als auf Anderes, uns dem Einfluss anderer Menschen mehr oder weniger öffnen.

 

Auch unsere (scheinbaren) Grenzen erkennen wir nur, indem wir schicksalhaft handeln. Was langfristig daraus wird, wissen wir nicht. Handeln heißt deshalb stets: Sich loslassen, sich selbst und seine Intentionen aus der Hand geben. Insofern ist Handeln immer zugleich eine Einübung jenes endgültigen Sich-los-Lassens, des Sterbens.

Der Mensch ist ein verhinderter Hedonist

Der Hedonismus entfaltete sich erstmals im Athen des 5. Jahrhunderts vor Christus, systematisch durch die Sophisten und den nachsokratischen Philosophen Aristippos von Kyrene, mitten in einer Krise moralisch-politischer Grundgesetze. In dieser Zeit entstand eine Kluft zwischen den sittlichen Normen und den Gründen, aus denen man ihnen folgte. Zunehmend verlangten die Regeln Gehorsam ohne Zustimmung. Das "von Natur aus" Gewollte erschien nicht länger gleichbedeutend mit dem, was getan werden sollte. Die geltenden Normen wurden als unterdrückend, als willkürliche Einschränkung der Handlungsmöglichkeiten und als Fremdbestimmung empfunden.

 

Die Philosophie des Hedonismus bestimmt den Zustand des Wohlbefindens als sinnliche und intellektuelle Lust. Menschliches Handeln und Streben vollzieht sich demzufolge letztlich immer um des Genusses willen. Lustgewinn und Unlustvermeidung sind das, was wir eigentlich und im Grunde wollen und weshalb wir auch alles Andere wollen. Im positiven Sinn: Das Wohlfühlen maximieren. Im negativen Sinn: Schmerz und Unlust vermeiden, Wünsche möglichst klein halten, um die Gefahr der Enttäuschung und der Frustration von vornherein zu verringern. Gut ist, was uns diese Ziele erreichen lässt. Schlecht ist, was das Gegenteil bewirkt. Das ist Hedonismus, das erste systematische Moralprinzip. In der Auseinandersetzung mit ihm hat der philosophische Begriff des Glücks seinen Ursprung. Diese Reflexionsbewegung wiederholte sich in verschiedenen Epochen stets von neuem, insbesondere im 18. Jahrhundert.

 

Ein wesentlicher Mangel der hedonistischen Theorie ist, dass sie das menschliche Streben und Handeln des Menschen allein im Rückgang auf das Individuum bestimmt, unter Ausblendung seines Bezuges zur mitmenschlichen und außermenschlichen Wirklichkeit. Als sprechendes und in Gemeinschaft lebendes Wesen stand der Mensch jedoch schon immer in einem für ihn wesentlichen und übergreifenden (Handlungs-)Zusammenhang. Der konsequente Hedonist dagegen ist gezwungen, einen radikal privaten, antisozialen Standpunkt einzunehmen, der der Natur des Menschen als eines vernünftigen und sozialen Wesens nicht gerecht wird.

 

Deshalb ist der Hedonismus nur als Grenzfall menschlicher Praxis, nämlich der des Egoisten, zu verwirklichen. Nimmt ein Handelnder die Beziehung, in der er zu anderen steht, nicht positiv in sein Wollen auf, dann ist die Entzweiung des Menschen mit sich die Folge. Wer ein glückliches Leben führen will, kann dies nicht um den Preis des Unglücks der Anderen.

 

Darüber hinaus müssen wir, um bestimmte Wünsche zu erfüllen, auf die Erfüllung anderer Wünsche verzichten. Sonst riskieren wir unsere menschliche Existenz.

 

Die hedonistische These suggeriert zudem, dass jede Erreichung eines Willenszieles mit Befriedigung verbunden sei. Sie sei das eigentliche Handlungsziel und alles andere sei nur Mittel zur Erreichung dieses Ziels.

 

Aber gerade, wenn wir spontan handeln oder von besonders intensivem Glück über eine Situation erfüllt sind, reflektieren wir nicht auf unsere Befriedigung, sondern fassen den Gegenstand unseres Wollens oder Genießens um seiner selbst willen auf. Die Deutung des Gegenstandes als Mittel zum Zweck der Befriedigung ist die nachträgliche Umdeutung durch einen äußeren Beobachter oder durch eigene Reflexion, in der wir uns selbst zum Betrachter unseres Wollens machen. Glücksgefühle stellen sich ein, wenn das Bewusstsein sich gerade nicht auf sie als Ursachen möglichen Lustgewinns bezieht. Sie bestehen für sich und das Bewusstsein lässt sie ihre Wirkung entfalten, ohne bestimmten Zweck.

 

Der Mensch ist ein verhinderter Hedonist. Darin liegt einer der Gründe für alle Neurosen, aber auch für alle höheren Kulturleistungen.

Glück und Gutsein gehören zusammen

Die Philosophen Spinoza, Scheler und Wittgenstein behaupteten sogar, Gutsein und Glück seien identisch. Nur der Glückliche kann gut sein, weil es ohne Sinnerfahrung kein Gutsein gibt. Intensive Sinnerfahrung aber heißt Glück. Es kann nur Resultat des Handelns sein, wenn es bereits dessen Ursprung war. Grundvoraussetzung dafür ist unsere moralische Gesinnung. Sie orientiert die eigenen Interessen nicht nur ästhetisch an objektiven Wertqualitäten, sondern respektiert die den anderen Menschen eigenen wertorientierter Interessen und erkennt sie als solche grundsätzlich an.

 

Ziel des guten Handelns ist die Vermittlung der Erfahrung, dass die Welt gut ist. Wir ermöglichen uns selbst, aber auch Anderen diese Erfahrung, indem wir ihnen helfen und uns mit den Unglücklichen solidarisch zeigen. Alles, was wir tun, um Not zu beseitigen und Schmerz zu lindern, hat im Grunde diese Absicht. Indem das, was ist, zustimmungswürdig ist, entsteht die Möglichkeit, gut zu sein. Das funktioniert nicht, indem wir das Schlechte ignorieren.

 

Wenn wir uns in ein bewusstes und ausdrückliches Verhältnis zu dem stellen, was geschieht, nehmen wir es in den Sinn unseres Lebens mit auf. In diesem Zustand hat alles immer Bedeutung und ist sinnvoll. Je öfter und intensiver wir unsere Aufmerksamkeit auf das richten, was ist, desto besser können wir es mit samt seiner Sinnhaftigkeit bejahen. Dann befinden wir uns im Zustand des Glücks, einem subjektiven Zustand mit deutlich objektiven Inhalten. Oder, wie Herbert Marcuse sagt: „Glück ist eine objektive Bedingung, die mehr als subjektive Gefühle verlangt.“ (in: Versuch über die Befreiung. Frankfurt 1972).

 

© Katja Tropoja

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