Die Erste Philosophie

Jenseits des Physischen  

Es gibt einen Bereich, der außerhalb unserer sinnlichen Wahrnehmung liegt, jenseits des empirisch Erfassbaren. Unsere Spekulationen und Denkweisen darüber beschreibt die Metaphysik. Der Begriff kommt aus dem Griechischen und bedeutet „das nach dem Physikalischen Kommende“. Sie beschäftigt sich mit den Annahmen und Aussagen über der Wirklichkeit, so es DIE Wirklichkeit überhaupt gibt und entwirft dafür ein Kategorienschema. Zu diesem Zweck versucht sie, das Einzelne aus seinen allgemeinen Ursachen heraus zu erklären und erarbeitet grundlegende und notwendige Ideen für eine wissenschaftlich adäquate Beschreibung dessen, was ist. Dabei fragt sie stets nach Gesamtzusammenhängen, da sie die Basis des Einzelnen bilden. Anderen Wissenschaften stellt sie notwendige Erkenntnisse bereit.

Aristoteles hat als Erster in der abendländischen Philosophie  begründet, dass und warum die Erkenntnis des Empirischen eine intensive Beschäftigung mit Nicht-Empirischem erfordert. Seiner Meinung nach ist die Untersuchung des unveränderlich Seienden Voraussetzung für die Untersuchung des Veränderlichen ist. Deshalb nannte er die Metaphysik „Erste Philosophie“.

Die Metaphysik stellt folgende zentrale Fragen:

  • Wie ist die Wirklichkeit der Welt (Ontisches)?
  • Welche Vorstellungen haben wir von der Welt (Ontologisches)?
  • In welcher Sprache sprechen wir von der Realität der Dinge (Sprachliches)?
  • Warum ist überhaupt etwas und nicht vielmehr nichts?

Die Wissenschaft vom Allgemeinen

Am entferntesten ist für uns das, was am allgemeinsten ist, am nächsten ist uns das Einzelne. Wir können das Einzelne aber nicht ohne das Allgemeine erkennen, denn die Wirklichkeit ist nicht auf physikalische Phänomene beschränkt. Während das Einzelne bekannt ist, aber nicht erkannt wird, ist das Allgemeine zunächst unbekannt, aber als erstes erkennbar. Es begegnet uns zunächst in der Sprache, dann im Urteil und schließlich im Bereich des Einzeldinglichen. Das Allgemeine ist zwar logisch isolierbar, ontologisch aber mit dem Einzeldinglichen untrennbar verbunden. Dagegen ist das Handeln seiner Natur nach auf den Einzelfall bezogen, das Erkennen jedoch wiederum auf das Allgemeine.

Den Ausgangspunkt von Erkenntnis und deren Systematisierung in der Form von Wissenschaft bildet die Erfahrung. Sie ist jedoch subjektgebunden, begrenzt und nicht frei von Zufällen. Deshalb können Erkenntnis und Wissenschaft  erst dann entstehen , wenn sich aus vielen, durch Erfahrung gewonnenen, Gedanken eine allgemeine Auffassung über Ähnliches bildet.

Um den Anspruch der Wahrheitsfähigkeit zu erfüllen, muss das Wissen allgemeingültig, unveränderlich und begründbar sein. Die Schwierigkeit zu wissenschaftlichen Aussagen über Nicht-Empirisches zu gelangen, ist das Grundproblem menschlichen Erkennens.

Wahres Wissen besteht in der Ursachenerkenntnis.  Diese ist durch die Sinneswahrnehmung nicht zu erlangen, denn sie gibt keine Antwort auf das „Warum“. (PLATON)

Die Ideenlehre von Platon

Eine Systematisierung der Metaphysik begann mit Platons Ideenlehre.

Sie geht davon aus, dass ein einzelner Gegenstand eine Eigenschaft besitzt, weil es die Idee von dieser Eigenschaft gibt. Es existiert also zuerst die Idee einer Eigenschaft an sich (Existenzbehauptung), erst dann besitzt ein Einzelding diese Eigenschaft (Ursachenbehauptung). So ist z. B. das Schöne an sich die Ursache für die schönen Dinge. Es entsteht also  alles durch Teilhabe an unveränderlichen Ideen, die das im eigentlichen Sinn Seiende sind. Sie haben zwar ihren Ursprung in Sinneswahrnehmung und Reflexion, doch weil die Sinne uns täuschen können und sinnlich Wahrnehmbares sich ständig verändert, scheidet Empirisches, auf Erfahrung rekurriertes Wissen dabei aus. 

Als unabhängige Realitäten sind die Ideen dem Denken vorgegeben. Der Gebrauch des Wortes führt uns zu ihnen. Weil es die Ideen als Erkennbares gibt, ist überhaupt erst Wissenschaft möglich.

Die Prozesshaftigkeit der Wirklichkeit

Isoliert betrachtet, ist das Einzelne unbegreiflich und unbeschreibbar. Es ist eine Modifikation seiner Umwelt. Aus ihr herausgelöst kann es nicht verstanden werden. Es gibt keine vereinzelbaren Ursachen mit vereinzelbaren Wirkungen, sondern stets nur Ursachenkomplexe mit Wirkzusammenhängen. Einzelnes konkretisiert sich erst im Miteinander und im Bezogensein aufeinander. Die Wirklichkeit der Welt ist prozesshaft und das als Organismus verstandene Universum ist eine stetige und kreative Erneuerung. 

Spekulativ und nicht abschließbar

Vorwissenschaftlich, nicht überprüfbar und begrifflich unklar sei die Metaphysik, so der Vorwurf der Wissenschaftstheoretiker und der Naturwissenschaftler mit ihrer formalen Logik. Ähnlich äußerten sich die Empiristen, nach deren Auffassung es nichts gäbe, was nicht auch empirisch erfassbar wäre. Die Beschäftigung mit dem Nicht-Empirischen sei deshalb unwissenschaftlich.

Folgt man aber dieser These, dann wären auch Mathematik und Logik keine Wissenschaften, denn auch Zahlen und ihre diversen Relationen untereinander sind dem Bereich des Nicht-Empirischen zuzuordnen.

Als Vertreter der sprachanalytischen Philosophie beschuldigte Wittgenstein die Metaphysik sogar der "Verhexung des Verstandes durch die Mittel unserer Sprache". 

Die Metaphysik ist als Teilbereich der Philosophie jedoch eine wichtige und realisierbare Wissenschaft. Mit ihrer Methodik kann man zu systematisch aufgebauten Theoriezusammenhängen gelangen.

Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit, Menschenwürde – diese Begriffe haben wir mit Hilfe der Metaphysik, der „Ersten Philosophie“, mit Leben gefüllt. Als Ursachen- und Naturforschung legte sie den Grundstein der Prinzipien des modernen Verfassungsstaates. Sie ist und bleibt unabgeschlossen und unabschließbar.

Autorin: Katja Tropoja

Kommentar schreiben

Kommentare: 0